Kroatien kämpft mit wirtschaftlichen Herausforderungen. Und die wachsende Ungleichheit zwischen Bürgern, Regionen und Industriezweigen hat erhebliche Debatten ausgelöst, wie Dijana Jurasić von Večernji list schreibt.
Während die Regierung eine Gesellschaft mit gleichen Chancen verspricht, sieht die Realität anders aus. Dr. Željko Lovrinčević vom Institut für Wirtschaftswissenschaften und andere Experten zeichnen das beunruhigende Bild einer Nation, deren Wohlstand, Chancen und Zugang immer stärker gespalten sind.
In seiner Weihnachtsbotschaft versicherte der Ministerpräsident den Bürgern, dass man sich um die Schaffung einer Gesellschaft mit gleichen Chancen bemühen werde. Doch während einige Leute extravagante Festlichkeiten wie Tischreservierungen in Zagreb für 300 Euro finanzierten, hatte ein großer Teil der Bevölkerung Mühe, sich die Grundbedürfnisse zu leisten.
Über 850.000 kroatische Arbeitnehmer verdienen weniger als das Durchschnittseinkommen von 1.160 Euro, während Rentner mit steigenden Lebenshaltungskosten konfrontiert sind.
Lovrinčević hebt das Ungleichgewicht hervor: Die steigenden Löhne im öffentlichen Sektor haben den privaten Sektor ins Hintertreffen gebracht, wo viele Arbeitnehmer fast den Mindestlohn verdienen.
Gleichzeitig offenbart die schrumpfende Mittelschicht Kroatiens – schätzungsweise 60 Prozent der Bürger kommen kaum über die Runden – tiefer liegende strukturelle Probleme.
Die Rolle der Schattenwirtschaft
Ein faszinierender Aspekt des wirtschaftlichen Puzzles Kroatiens ist die bedeutende Rolle der Schattenwirtschaft.
Während Kroatien laut offiziellen Einkommensstatistiken nahe am europäischen Durchschnitt liegt, deuten Unterschiede bei der Vermögensbildung darauf hin, dass ein großer Teil des Reichtums des Landes auf nicht gemeldeten Einkünften beruht.
Laut Lovrinčević verschärft diese Dynamik die Ungleichheiten und schafft eine Kluft zwischen deklarierten Einkommen und tatsächlicher Finanzkraft.
Die Einführung des Euro hat den Graumarkt teilweise legalisiert, aber auch Möglichkeiten für weitere Ausbeutung eröffnet. Da EU-Gelder für den Wiederaufbau und die Entwicklung Kroatiens fließen, wächst die Sorge vor einem möglichen Wiederaufleben unregulierter Wirtschaftsaktivitäten.
Inflation und steigende Kosten
Kroatiens Bürger spüren die Auswirkungen der Inflation. Grundgüter, einst Grundausstattung eines Durchschnittshaushalts, werden zu Statussymbolen. Ein Espresso beispielsweise kann in Zagreb zwei Euro kosten – mehr als in Teilen Italiens oder Österreichs.
Diese Ungleichheit hängt mit dem Verhalten der Einzelhandelsketten und Lieferanten zusammen, die überproportional von der Mehrwertsteuersenkung und anderen wirtschaftlichen Anreizen profitieren.
Lovrinčević weist darauf hin, dass zwar laut EU-Normen zwei Drittel der Mehrwertsteuersenkung den Verbrauchern zugute kommen sollten, kroatische Unternehmen jedoch oft bis zu 70 Prozent einbehalten.
Dieser Trend, der schon vor der Pandemie zu beobachten war, hat sich mit der Einführung des Euro verschärft und die Lebenshaltungskosten noch weiter in die Höhe getrieben.
Ausländische Eigentümer und Gewinnabschöpfung
Ein weiterer wichtiger Faktor, der Kroatiens Wirtschaft beeinflusst, ist die Rolle ausländischer Eigentümer. Lovrinčević erklärt, dass Unternehmen, die in der Peripherie der EU – wie Kroatien – tätig sind, ausgebeutet werden, um Verluste auf den asiatischen und amerikanischen Märkten auszugleichen.
Dividenden werden vorrangig an die Aktionäre in Deutschland, Italien und Österreich ausgezahlt, so dass nur wenig Reinvestitionen in die lokalen Märkte möglich sind.
Dieses Ausbeutungsmodell verschärft die regionalen Ungleichheiten. So sind in Panonisch-Kroatien beispielsweise fast 30 Prozent der Bevölkerung von Armut bedroht, in den Küstenregionen sind es dagegen nur 17,5 Prozent.
Ohne energisches Eingreifen der nationalen Behörden wird sich dieses Ungleichgewicht wahrscheinlich noch vergrößern.
Kroatien steht vor komplexen Herausforderungen bei der Beseitigung seiner wirtschaftlichen Ungleichheiten. Zwar sind die Löhne im öffentlichen Sektor deutlich gestiegen, doch Lovrinčević warnt, dass Arbeitnehmer im privaten Sektor nach wie vor unterbewertet seien und hochqualifizierte Fachkräfte zunehmend nach Möglichkeiten im Ausland suchen.
Da es der Industrie nicht gelingt, talentierte Talente anzuwerben und zu halten, besteht für Kroatien die Gefahr, eine Niedriglohnwirtschaft zu werden.
Die Lösung, so Experten, liege in einer stärkeren Regierungsführung. Nationale Behörden und Regulierungsbehörden müssten Bürger und Unternehmen vor unverhältnismäßiger Profitmaximierung schützen und sich auf ein gerechteres Wirtschaftswachstum konzentrieren.
Ohne diese Maßnahmen besteht die Gefahr, dass Kroatiens Zukunft von tieferen Gräben und verpassten Chancen geprägt sein wird.
Redaktion Wirtschaft
Bild: ostexperte