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WENN DIE JUNGE ELITE DAS LAND VERLÄSST

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Dass immer größere Anzahl an jungen Menschen ihre Heimatländer – Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Serbien – verlassen, ist kein unbekanntes Phänomen.

Die Gründe dafür sind genauso jedem Menschen bekannt. Dennoch interessierte uns, was sich alles hinter diesem Phänomen steckt und, ob ein höheres Lebensstandard wirklich der Hauptgrund für die Emigration junger Menschen aus Balkan darstellt. Um diese Fragen beantworten zu können, sprachen wir mit Frau Katarina Vučković, aus dem Institut für die Entwicklung von jungen Menschen KULT (Institut za razvoj mladih).

Aus welchen Regionen von Bosnien-Herzegowina wandern die meisten jungen Menschen ab? Haben Sie vielleicht Informationen darüber?

Katarina Vučković: Vor allem muss man sagen, dass Bosnien-Herzegowina keine eigene Statistik über die Abwanderung junger Menschen oder von Menschen überhaupt führt. Soweit das Institut für die Entwicklung junger Menschen KULT weiß, wird die Zahl der Auswanderungen aus den statistischen Daten der Abmeldungen aus dem CIPS (Citizens Identity Protection System) abgeleitet, aber die meisten Bürger, die sich zur Auswanderung entscheiden, melden sich dort nicht ab.

Aber aus den Informationen, die uns zur Verfügung stehen, und aus der Volkszählung von 2013 kann man erkennen, dass es in den Grenzgebieten von BIH die wenigsten jungen Menschen gibt und dass diese generell in die größeren Zentren auch in Bosnien-Herzegowina selbst gravitieren. Der größte Abzug junger Leute ist generell in den ländlichen Landesteilen zu verzeichnen. Die Jungen gehen oft weg, um Ausbildungen zu machen, und versuchen dann, in den größeren Städten innerhalb und außerhalb Bosnien-Herzegowinas zu bleiben.

„Die Jungen gehen oft weg, um Ausbildungen zu machen, und versuchen dann, in den größeren Städten innerhalb und außerhalb Bosnien-Herzegowinas zu bleiben.“

In welchem Alter verlassen die Menschen ihre Heimat vorwiegend und sind das eher Verheiratete oder Alleinstehende?

Nach den Untersuchungen des Instituts für die Entwicklung junger Menschen KULT würden 4 von 5 jungen Menschen im Alter von 15 bis 30 Jahren das Land verlassen, wenn sich eine Gelegenheit dafür böte, und ein Teil von ihnen tut das auch. Dennoch scheint es, dass vor allem volljährige junge Leute abwandern, um eventuell außerhalb von BIH zu studieren. Aber in letzter Zeit sieht man auch den Wegzug von Jugendlichen über 18 Jahren und sogar über 30 Jahren. Wenn wir mit den jungen Menschen über ihre Emigration sprechen, dann erzählen sie meistens von einer gemeinsamen Übersiedlung. D.h. es geht nicht mehr um die Abwanderung eines Mitglieds einer Familie zur vorübergehenden Arbeit, sondern darum, dass ganze Familien das Land langfristig verlassen.

Welche Faktoren beeinflussen die Abwanderung der Bevölkerung aus BIH am meisten?

Bosnien-Herzegowina ist ein abgelegenes Land in einer Übergangsphase. Das prägt alle Aspekte des Lebens eines jungen Menschen sehr, von den Jobchancen über die Qualität der Ausbildung und der Freizeitgestaltung bis hin zum Gesundheitssystem und dem Gefühl der wirtschaftlichen und sonstigen Sicherheit im Land. In einer Umfrage, die das Institut für die Entwicklung junger Menschen KULT unter jungen Menschen zwischen 15 und 35 Jahren durchgeführt hat, die in den letzten drei Jahren bereits ausgewandert sind oder sich im Prozess der Auswanderung befinden, gaben 80 % der jungen Menschen als Grund der Migration die Tatsache an, dass sie keine Perspektive sähen, dass es in ihrem Land in naher Zukunft besser würde, bzw. dass sie für sich persönlich keine bessere Zukunft sehen. Als weitere Gründe gaben sie auch die Unzufriedenheit mit der politischen Situation, das Vorhandensein von Korruption und Arbeitslosigkeit, das übertriebene Gewicht von nationalen, religiösen und Kriegsfragen sowie die Unzufriedenheit mit ihrer Arbeit und den Löhnen an.

In den Ländern, in die sie abwandern, erwarten die jungen Menschen nach den Daten dieser Umfrage ein besseres Ausbildungs- und Gesundheitssystem, ein besseres Lebensumfeld, bessere Jobchancen und eine bessere Sicherheitssituation.

Wie unterscheidet sich die Auswanderung der Bevölkerung aus B-H in den 60-er und 70-er Jahren des letzten Jahrhunderts von den heutigen Abwanderungen in Länder wie Österreich und Deutschland? Sind da irgendwelche Trends erkennbar?

Den Ergebnissen der Umfrage zufolge sind die meisten jungen Menschen nach Deutschland übersiedelt, es folgen Österreich, Schweden, Slowenien, Großbritannien, Irland, Frankreich, Spanien, die Niederlande, Tschechien…

Mehr als 50 % der jungen Menschen gehen selbständig ins Ausland, über 30 % mit Hilfe von Verwandten und Freunden, während weniger als 10 % die Dienste einer Auswanderungsagentur in Anspruch nehmen.

„Auf jeden Fall bedeutet der Verlust junger Menschen den Verlust von Arbeitskräften, Ideengebern und Menschen, die bereit sind, aktiv zu dieser Gesellschaft beizutragen.“

Bedeutet die Migration gleichzeitig auch einen Verlust für B-H oder könnte sie auch als Gewinn genutzt werden und auf welche Weise müsste das geschehen?

Auf jeden Fall bedeutet der Verlust junger Menschen den Verlust von Arbeitskräften, Ideengebern und Menschen, die bereit sind, aktiv zu dieser Gesellschaft beizutragen. Ohne den Beitrag der älteren Generationen missachten zu wollen, sieht sich BIH doch mit der potentiellen Gefahr konfrontiert, ein Land der Alten zu werden, für die wir wiederum junge Menschen brauchen, die sich um die Lebensqualität derer kümmern, die bleiben.

Auf der anderen Seite ist klar, dass die Abwanderung der Jungen auch eine Art Vorteil sein kann, sofern sich diese jungen Menschen verpflichtet fühlen würden, auf irgendeine Weise für die Entwicklung ihres Landes zu arbeiten, vor allem für eine Verbesserung der Umstände, derentwegen sie sich für die Auswanderung entschieden haben. Der Ministerrat von BIH hat im vergangenen Jahr eine Politik der Kooperation mit der Diaspora beschlossen. Es handelt sich um das erste Dokument, mit dem die Zusammenarbeit zwischen BIH und seiner Diaspora institutionalisiert wird. Es ist ein Verdienst der Zusammenarbeit des Ministeriums für Menschenrechte und Flüchtlinge von B-H und zahlreicher anderer Institutionen in unserem Land mit dem Ziel, die Kooperation mit der Diaspora im beiderseitigen Interesse voranzutreiben.

„Ohne den Beitrag der älteren Generationen missachten zu wollen, sieht sich BIH doch mit der potentiellen Gefahr konfrontiert, ein Land der Alten zu werden, für die wir wiederum junge Menschen brauchen, die sich um die Lebensqualität derer kümmern, die bleiben.“

In der Untersuchung über die Auswanderung der Kroaten von doc. dr. sc. Tado Jurić, Professor an der Kroatischen Katholischen Universität, kommt klar zum Ausdruck, dass ein besonderes Problem dieses ganzen Komplexes der Auswanderung die Medien bilden, die die gesamte Thematik einseitig darstellen und geradezu Stimmung machen für die Auswanderung aus dem Land. Dadurch kommt es in Kroatien im Moment zu einer Art moralischer Panik und kollektiver Psychose. Man kann sagen, dass dies auch in BIH der Fall ist. Führt eine solche Haltung gegenüber der Migration zu einer Missachtung des eigenen Staates, der nach Meinung vieler eine viel größere Gefahr für das „Aussterben“ der Bevölkerung in BIH darstellt als der niedrige Standard? Und ist die Migration heutzutage tatsächlich Voraussetzung für ein besseres Leben oder ist sie einfach zum Trend geworden?

Solche Untersuchungen wurden in BIH nicht durchgeführt, daher ist es schwer zu beurteilen, ob es sich um einen Trend oder echten Bedarf handelt. Wenn es um die jungen Menschen geht, so bekennen sie sich offen dazu, dass sie mit den Lebensbedingungen in BIH nicht zufrieden sind und darum abwandern. Die Rolle der Medien bei der Migration ist sicherlich wichtig, aber ich würde nicht sagen, dass die Medien in BIH die Auswanderungen unterstützen, sondern dass sie über dieses Phänomen berichten, so gut sie können.

Die Resultate der erwähnten Studie zeigen deutlich, dass die Push-Faktoren in Kroatien stärker sind als die Pull-Faktoren in Deutschland, bzw. haben die Korruption, die rechtliche Unsicherheit und die Unmoral der politischen Eliten mehr Einfluss auf die Abwanderung der Kroaten aus Kroatien als der Wunsch nach besserem Verdienst. Gilt das auch für BIH?

Als wir im Sommer 2017 eine Umfrage unter jungen Menschen gemacht haben, die ausgewanderten, führten ca. 80 % als Grund für ihre Entscheidung an, dass sie keine Perspektive sähen, dass es in ihrer Heimat bald besser würde und dass sie auch für sich selbst keine bessere Zukunft sähen. Auch die Unzufriedenheit mit der politischen Situation, Korruption, Arbeitslosigkeit, das allzu große Gewicht nationaler, religiöser und Kriegsfragen sowie die Unzufriedenheit mit Arbeit und Löhnen führten sie als Gründe an. Auf der anderen Seite erwarten die jungen Menschen, den Daten aus der Umfrage zufolge, in ihren Zielländern ein besseres Bildungs- und Gesundheitssystem, ein besseres Lebensumfeld, höhere Beschäftigungschancen und eine bessere Sicherheitssituation. Mehr als 30 % der Befragten planten keine Rückkehr ins eigene Land, während die anderen dies tun würden, wenn sich die Möglichkeit ergäbe, im eigenen Land ein besseres Leben zu führen. Auf die Frage, ob es um die Abwanderung ihrer ganzen Familie ginge, antworteten fast 60 % der Befragten positiv, über 20 % gaben an, dass sich ihre Familien auf die Übersiedlung vorbereiteten, während ca. 10 % negativ antworteten.

Die Resultate der erwähnten Studie zeigen deutlich, dass die Push-Faktoren in Kroatien stärker sind als die Pull-Faktoren in Deutschland, bzw. haben die Korruption, die rechtliche Unsicherheit und die Unmoral der politischen Eliten mehr Einfluss auf die Abwanderung der Kroaten aus Kroatien als der Wunsch nach besserem Verdienst. Gilt das auch für BIH?

Als wir im Sommer 2017 eine Umfrage unter jungen Menschen gemacht haben, die ausgewanderten, führten ca. 80 % als Grund für ihre Entscheidung an, dass sie keine Perspektive sähen, dass es in ihrer Heimat bald besser würde und dass sie auch für sich selbst keine bessere Zukunft sähen. Auch die Unzufriedenheit mit der politischen Situation, Korruption, Arbeitslosigkeit, das allzu große Gewicht nationaler, religiöser und Kriegsfragen sowie die Unzufriedenheit mit Arbeit und Löhnen führten sie als Gründe an. Auf der anderen Seite erwarten die jungen Menschen, den Daten aus der Umfrage zufolge, in ihren Zielländern ein besseres Bildungs- und Gesundheitssystem, ein besseres Lebensumfeld, höhere Beschäftigungschancen und eine bessere Sicherheitssituation. Mehr als 30 % der Befragten planten keine Rückkehr ins eigene Land, während die anderen dies tun würden, wenn sich die Möglichkeit ergäbe, im eigenen Land ein besseres Leben zu führen. Auf die Frage, ob es um die Abwanderung ihrer ganzen Familie ginge, antworteten fast 60 % der Befragten positiv, über 20 % gaben an, dass sich ihre Familien auf die Übersiedlung vorbereiteten, während ca. 10 % negativ antworteten.

Kosmo.at
Bild: Auswandern, aber richtig!/zVg.
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