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Euroblick: Gebietstausch mit Serbien?

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Ein Beitrag von Till Rüger (BR-Euroblick)

Weinbauer Ljubiša Stočić ist Serbe. Er lebt ganz im Süden Serbiens, nahe der Grenze zum albanisch-dominierten Kosovo. Aber Serben wie er sind hier in der Minderheit, denn das Preševa-Tal ist überwiegend von Albanern besiedelt.

Immer wieder kam und kommt es zu Spannungen zwischen den Volksgruppen. Nun gibt es die Idee, dass ein Gebietstausch die Situation entschärfen könnte:

„Die Diskussion über eine Grenzverschiebung kann etwas auslösen, das sich nicht mehr stoppen lässt. Ich hoffe, es kommt nicht wirklich zu uns.“

Ljubiša Stočić, serbischer Winzer aus Racovac

Die extremen Nationalisten auf beiden Seiten zündeln wieder, meint Ljubiša, seit die Idee eines Tauschhandels zwischen Serbien und dem Kosovo bei den von der EU vermittelten Friedensgesprächen im Raum steht. Denn wenn es wirklich zu einer Änderung der Grenze käme, müsste nicht nur Ljubiša seinen Hof mit hoher Wahrscheinlichkeit räumen:

„Ich wünsche mir, wir können davon verschont bleiben. Ich persönlich hätte nur Nachteile von einem Gebietsaustausch, aber das hängt nicht von mir ab.

Ljubiša Stočić

So wie Ljubiša denken viele im Preševa Tal, auch die albanische Mehrheit: Einen neuen Lösungsansatz für den jahrzehntealten Kosovo-Konflikt sehen sie nicht wirklich. In der Dorfkneipe läuft im Fernsehen die Rede des serbischen Präsidenten Vučić zum Stand der Verhandlungen. Die Politiker auf beiden Seiten sprächen sich wieder einmal gegenseitig den Willen zum Kompromiss ab, sagen sei hier:

„Es sieht so aus, als ob die Seite kein echtes Interesse hätte. Und die Bürger des Kosovo wollen auch keinen Tausch.“

Ein alter Mann

„Ich bin dafür, dass die Serben im Kosovo alle Rechte bekommen, die ihn zustehen. Das gleiche soll für uns Albaner hier in Serbien gelten. Das ist die beste und einzige Lösung. Dieser Gebietstausch, von dem er spricht, der ist Unsinn.“

Ein anderer alter Mann

Nur 100 Kilometer entfernt: Nord-Mitrovica, offiziell Teil des Kosovo, aber mit serbischer Bevölkerungsmehrheit. Hier muss Vučić mit seiner Rede die Nationalisten im eigenen Lager in Schach halten und gleichzeitig für die Idee einer Grenzverschiebung werben:

„Wollen wir die Einigung mit den Albanern oder die Fortsetzung dieses Niedergangs, durch den wir am Ende alles verlieren werden? Es ist nur eine Frage der Zeit, ob in einem Jahr, fünf oder zehn Jahren. Für uns gibt es keinen Ausweg hier im Kosovo, ohne eine Einigung mit den Albanern.“

Alexandar Vučić, Präsident Serbien

Wie gesagt, in Nord-Mitrovica sind die Serben in der Mehrheit. Bei einem Gebietstausch könnte dieser Teil des Kosovo mit den umliegenden Dörfern an Serbien fallen.

Auch das Dorf Çabër nahe Mitrovica würde dann vielleicht serbisch. Doch hier leben vor allem Albaner wie Sherif Rama und seine Familie. Der pensionierte Jurist verfolgte den Fortgang der Gespräche in Brüssel genau:

„Solche Grenzdeals sind extrem gefährlich, nicht nur für das Kosovo, sondern für die ganze Region. Ein Gebietstausch würde die Büchse der Pandora öffnen. Das würde Konflikte und Kriege und eine völlige Destabilisation des Balkan bringen.“

Sherif Rama, pensionierter Jurist

Die Familie Rama lebt seit Generationen in Çabër. Sie würden ihr Dorf niemals verlassen, auch dann nicht, wenn es plötzlich zu Serbien gehört. Jede Veränderung der Grenze würde aus ihrer Sicht wieder neue ethnische Inseln mit neuen Minderheiten schaffen und entweder die angestammten Rechte der einen oder der anderen Seite verletzten.

Auch deshalb brennen wieder Barrikaden im Kosovo. Zu frisch sind die Wunden des Kriegs, zu emotional die Diskussion um Land und Grenzen. Mit Blockaden lässt sich aus Sicht der Albaner ein Gebietstausch am einfachsten verhindern:

„Ein Tausch wäre eine wahre Schande, die Menschen sind für dieses Land gestorben, wenn man es jetzt aufgibt ist das unverzeihlich. – Ich als Teil der jüngeren Generation unterstütze diesen Deal nicht. Dieses Land gehört uns und es darf niemals hergegeben werden.“

Menschen in Pristina

So musste der serbische Präsident Vučić auf seiner medienwirksam inszenierten Rundreise nicht nur die Straßenblockaden umfahren. Er musste am Ende auch zugeben, dass eine Grenzverschiebung in der augenblicklichen Situation wohl unmöglich ist:

„Es ist ziemlich klar, dass eine Lösung für lange Zeit wohl nicht in Sicht ist. Unsere Aufgabe ist es deshalb nun dafür zu sorgen, dass wir uns gemeinsam an irgendeine Lösung friedlich herantasten.“

Alexandar Vučić, Präsident Serbien

Zurück zu Weinbauer Ljubiša Stočić im Preševa-Tal: Er und seine Nachbarn halten die Idee vom Gebietstausch inzwischen für ein rein politisches Manöver, damit bei einem Scheitern der EU-Gespräche über den Kosovo-Konflikt in Brüssel niemand sein Gesicht verliert. Vor Ort haben sie mit der Beibehaltung des Status quo viel weniger Probleme als die große Politik. Für Ljubiša ist es nur wichtig, dass er weiterhin Wein produzieren kann. Denn sein Wein, der bringt nur gute Laune und keine Kopfschmerzen – anders als der Kosovo-Konflikt.

Hier geht es zur Sendung!

BR-Euroblick
Bild: BR

 

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